Kloster St.Gallen

Der Stiftsbezirk St.Gallen – Kantonsregierung, Bischof und karolingische Handschriften unter einem Dach

Der Stiftsbezirk St.Gallen, das Kloster St.Johann in Müstair und die Berner Altstadt wurden 1983 als erste Schweizer Kulturgüter in die Liste der UNESCO aufgenommen. Ausschlaggebend für die Wahl von St.Gallen war die Verbindung der barocken Klosteranlage mit einer ins 8. Jahrhundert zurückreichenden Tradition. Letztere manifestiert sich kaum in der Architektur, wohl aber in den umfassenden Beständen von Stiftsarchiv und Stiftsbibliothek. Der Bibliothek – einer der ältesten und reichsten der Welt – verdankt St.Gallen in erster Linie den kunsthistorischen Weltruhm.

Die barocke Klosteranlage von St.Gallen ist glanzvoller Abschluss einer tausendjährigen Klosterkultur, erwachsen aus der Eremitengemeinschaft des missionierenden irischen Mönchs Gallus, der sich 612 in das wilde Hochtal der Steinach zurückzog. Seine Klause bildete hundert Jahre später den Anknüpfungspunkt für eine neue Mönchsgemeinschaft unter Abt Otmar. 747 übernahm ein bereits voll entwickeltes Kloster die Regel des heiligen Benedikt. Wieder hundert Jahre nach Otmar läutete zu Beginn des 9. Jahrhunderts Abt Gozbert das «goldene Zeitalter» der Abtei ein. Er errichtete eine neue Klosteranlage und erhielt dazu um 820 vom Abt der Reichenau den berühmten Klosterplan, einen Idealplan, den Gozbert auf die St.Galler Möglichkeiten zurechtgestutzt hat. Diese einzigartige Architekturzeichnung ist ausdrücklich Teil des UNESCO-Welterbes. Dazu gehören aber ebenso der umfangreiche, weitgehend autochthone Bestand an Urkunden und Handschriften des frühen Mittelalters sowie eine der weltweit grössten Sammlungen irischer Handschriften.

Im weiteren Verlauf des Mittelalters sank die künstlerische und politische Bedeutung des Klosters, während sich die in seinem Schatten entstandene Stadt entwickelte und an wirtschaftlicher Kraft gewann. Bereits vor der Reformation, welche die beiden Gebilde auch konfessionell trennte, war die Stadt vom Kloster unabhängig geworden.

In dieser ungünstigen Zeit begründete Abt Ulrich Rösch (1463–1491) mit der Konsolidierung der Besitzungen im Fürstenland (zwischen Wil und Rorschach) und dem Erwerb des Toggenburgs den barocken Klosterstaat, ein absolutistisch regiertes Gebiet in der alten Eidgenossenschaft. Der barocke Stiftsbezirk ist Ausdruck dieser doppelten Funktion eines geistlichen und weltlichen Zentrums.

1805 wurde das Kloster durch den neu gegründeten Kanton aufgehoben. Seither beherbergt die Klosteranlage Regierung und Verwaltung des Kantons St.Gallen sowie Oberhaupt und Administration des 1823 geschaffenen gleichnamigen Bistums (zunächst Doppelbistum Chur – St.Gallen), das in der ehemaligen Klosterkirche eine würdige Kathedrale erhalten hat.

Text aus: Flury-Rova, Moritz: Welterbestätte Kloster St.Gallen: der Stiftsbezirk St.Gallen – Kantonsregierung, Bischof und karolingische Handschriften unter einem Dach. In: UNESCO-Welterbe, 2004, S. 143–148.
Folchart-Psalter, 9. Jahrhundert (Stiftsbibliothek St.Gallen, Cod. Sang. 23, S. 146)

Folchart-Psalter, 9. Jahrhundert (Stiftsbibliothek St.Gallen, Cod. Sang. 23, S. 146)

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